Mit zweiundzwanzig musste Mia eine junge lebensbejahende Frau, die Erfahrung eines schmerzlichen, endgültigen Verlustes hin nehmen. Starr vor Schmerz und Leid verschloss sie sich jedem anderen Gefühl
und haderte mit dem Schicksal. Ihre Seele trug zwei Jahre tiefe Trauer. Während dieser Zeit ging sie oft in eine kleine Kapelle. Nicht weil sie so fromm war, nein sie liebte diesen Ort, seine Stille,
- die Ruhe und Kraft die er verströmte.
Eines Tages traf sie einen Priester in der kleinen Kapelle. Er bemerkte die große Traurigkeit die von ihr ausging und fragte sie danach. Nach anfänglichem Zögern, erzählte sie von ihrem Kummer. Als
sie geendet hatte, schaute sie ihn an und sagte leise: Es tut immer noch weh, verdammt weh!
Tröstend nahm der Priester ihre Hand in die Seine und erzählte ihr von seiner Arbeit als Krankenhausseelsorger. Von dem Leid, der Angst, dem Tod denen er Tag für Tag begegnete. Von der Trauer die ihn
befällt, wenn wieder ein Mensch in den ewigen Schlaf gefallen ist. Viele dieser Kranke sind alleine, haben keine Angehörige und sehnen sich nach Liebe. Nach einem Menschen der Zeit für sie hat, der
ihnen zu hört, mit ihnen lacht und mit ihnen weint. Begleiten sie mich doch auf meinem Weg der Nächstenliebe schlug er ihr vor. Nach kurzer Überlegung schüttelte sie den Kopf, nein antwortete sie,
das kann ich nicht. Okay erwiderte er, aber sollten sie sich doch noch anders entscheiden, sie wissen wo sie mich finden.
Nach diesem Gespräch trafen sie sich noch des Öfteren in der kleinen Kapelle und immer erzählte er ihr von seiner Arbeit, dabei hatte sie das Gefühl, dass er seine Idee, sie für die Krankenbegleitung
zu gewinnen, immer noch nicht aufgegeben hatte.
Eines Tages fragte er sie, sagen sie mal, schreiben sie noch? Als sie zustimmend nickte, bat er sie Briefe für seine Kranke zu schreiben, einfühlsame, aufmunternde und freundliche Briefe. An ihn
adressiert und er gibt sie weiter. Sie schaute ihn etwas skeptisch an und nickte, ja das kann ich tun erwiderte sie.
Und so fing sie zu schreiben an. Erst zwei Briefe in der Woche, dann vier bis fünf, aufmunternde, liebevolle aber auch ernste Briefe. Einen jeden von ihnen schrieb sie mit so viel Gefühl, ja mit
ihrem Herzblut. So vergingen zwei Jahre. Sie fühlte sich wieder gut. In dieser Zeit erkannte sie, was es heißt, wirkliches Leid und Schmerz zu ertragen. Ihre Seele legte die Trauer ab und wenn sie
zurück dachte, dann voller Liebe und Dankbarkeit, - diesen Menschen überhaupt kennen gelernt und gemeinsam mit ihm ein kleines Stück des Weges gegangen zu sein.
Eines Tages kam der Priester wieder auf sie zu und sagte: Ich habe ein riesiges Problem. Du kennst ja Christina, aus meinen Erzählungen und vom schreiben her. Im Moment geht es ihr schlecht und sie
bat mich, dich kennen zu lernen. Ich weiß, dass du das nicht möchtest, aber ich weiß nicht was ich tun soll. Wie kann ich einem todkranken Mädchen seinen Wunsch abschlagen? Aufgewühlt schaute er sie
an. Mia überlegte, der Priester störte sie nicht beim Nachdenken. Nach einer Weile hatte sie einen Entschluss gefasst. Gut sagte sie aus ihren Gedanken heraus, ich werde morgen ins Krankenhaus
kommen. Treffen wir uns um 15°° Uhr am Eingang. Schnell verabschiedete sie sich, verließ regelrecht fluchtartig die Kapelle und fuhr nach Hause. Hier überlegte sie und fragte sich ernsthaft, was hast
du getan, schaffst du das überhaupt. Schreiben ist eine Sache, aber sich persönlich zu involvieren ist eine ganz andere. Was ist wenn du wieder in ein tiefes Loch fällst. Das Chaos ihrer Gefühle war
groß.
Trotz ihrer Bedenken stand sie am nächsten Tag pünktlich am Eingang zum Krankenhaus. Vor Aufregung und Angst zitterte sie. Die Angst, vor dem was sie erwartete und wie sie sich verhalten soll und
wird. Markus der Seelsorger sah, als er zu ihr kam wie aufgeregt sie war und sprach beruhigend auf sie ein. Als sie vor dem Zimmer standen holte sie erst ein paar Mal tief Luft, bevor sie es
betraten.
Da lag ein zartes zerbrechliches Mädchen in ihrem Bett. Übergroße Augen beherrschten ein kleines blasses Gesicht. Es streckte seine dünnen Arme aus und fragte mit leiser Stimme: Bist du Mia, die mir
so liebevoll schreibt, bist du es wirklich? Mia konnte nur nicken, sie brachte keinen Ton heraus, ihr Herz raste und ihre Hände zitterten noch stärker. Komm setze dich zu mir forderte Christina
sie auf. Mia ergriff Christinas Hände und setzte sich zu ihr. Na, wandte sich Markus an Christina, habe ich dir zuviel versprochen. Nun ist sie da und du kannst sie kennen lernen. Glücklich lachend
bedankte sich Christina. Danach verabschiedete sich Markus mit den Worten, ich muss weiter, aber ich bleibe auf der Station.
Tut mir leid sagte Mia, ich habe mich unmöglich verhalten, dabei senkte sie beschämt ihren Kopf. - Och weißt du, meinte Christina, du bist nicht die Einzige die erschrickt wenn sie uns sieht und
nicht weiß was sie sagen soll, dabei lächelte sie. Die unkomplizierte Art Christinas nahm Mia die Unsicherheit. Und es entwickelte sich eine nette Unterhaltung, bei der auch viel gelacht wurde. Nach
drei Stunden wurde Christina müde und Mia verabschiedete sich. Sie gaben sich die Hand und in den großen Augen Christinas stand eine unausgesprochene Frage. Ja nickte Mia, ich komme wieder. Und
sehnsüchtig schaute Christina Mia nach.
Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte suchte Mia, Markus den Seelsorger und fand ihn in dem kleinen Aufenthaltsraum, bei einer Tasse Kaffee. Ich wusste dass du noch kommst sagte er zu ihr und habe
deshalb hier auf dich gewartet. Auch Mia nahm sich einen Kaffee und fragte ihn: Wie steht es wirklich um Christina, was sagen die Ärzte? Es sieht nicht gut aus antwortete er, die Ärzte geben ihr noch
ein halbes Jahr, aber so wie es jetzt aussieht packt sie das nicht. Die Chemo- greift nicht richtig. Traurig schaute er sie an. - O Gott sagte sie entsetzt, gibt es denn wirklich keine Rettung, die
Medizin ist doch so weit vor! Nein schüttelt er den Kopf, die Ärzte versuchen natürlich alles, sie ist doch erst achtzehn Jahre. Eine Weile ist es still zwischen den zwei Menschen. Jeder hängt seinen
Gedanken nach. Leise unterbricht Mia die Stille und sagt: Man muss sie mit dem Herzen sehen, nur so siehst man die wesentlichen Dinge. Ich werde mich um sie kümmern und sie begleiten! Morgen komme
ich wieder und ich möchte mit ihr hinaus an die frische Luft. Natürlich gut eingepackt und im Rollstuhl. Ich sah ihren sehnsüchtigen Blick zum Fenster. Kann ich auf deine Hilfe zählen? Klar helfe ich
antwortete Markus. Aber überlege es dir gut, wenn du erst damit angefangen hast musst du es auch zu Ende bringen, du kannst nicht einfach damit aufhören und du musst sehr stark sein. Ich weiß
antwortet sie. Dann verabschiedeten sie sich.
Am nächsten Tag setzten sie Christina mit Hilfe der Krankenschwester in einen Rollstuhl, hüllten sie in eine Wolldecke ein und sie fuhren hinaus. Hinter dem Krankenhaus befindet sich eine schöne
gepflegte Parkanlage, diese war ihr Ziel. Hier unter den großen Bäumen stehen Bänke und sie steuerten eine davon an. Mia setzte sich, sie hatte den Rollstuhl Christinas vor sich. Die hatte ihre Augen
geschlossen. So saßen sie still beieinander. Leise rauschten die Blätter im warmen Sommerwind, das Summen der Bienen durchzog die Lüfte und lieblicher Vogelgesang war zu hören. Über allem lag der
süße Duft der Sommerblüten.
Spürst du den warmen Atem des Sommers fragte Mia? Schau mal nach oben, dabei deutete sie auf das grüne Blätterdach über ihnen. Die Strahlen der Sonne winden sich zwischen den Blättern hindurch, ein
goldener Nebelstaub breitet sich aus und hüllt alles ein, auch uns. Ist das nicht wunderschön? Das ist die Magie der Natur! Christina nickte und flüsterte, es ist so wunderschön hier, ich möchte
immer hier sitzen bleiben, dabei fasste sie Mias Hand und lautlos kullerten Tränen aus ihren Augen. Mia nahm sie in ihre Arme und streichelte sie tröstend, in diesem Moment hatte sie keine
Worte.
Nach einer Weile hatte sie sich wieder gefangen. Mia deutete auf den Baum unter dem sie saßen und sagte: Schau ihn dir an, das ist ein Kastanienbaum. Er ist schon sehr alt. Wenn du ihn anfasst,
spürst du sein Leben das kraftvoll durch seine Adern fließt. Sie stand von der Bank auf und schob den Rollstuhl dicht an den Baum. Lege deine Hände an den Stamm forderte sie Christina auf, nun
schließe deine Augen, schalte deine Gedanken ab und fühle mit all deinen Sinnen. - Lausche dem leisen Rauschen seines Laubes, er hat dir viel zu erzählen. - Rieche die herbe Ausdünstung seiner Rinde,
es ist der Geruch seiner Lebendigkeit. - Schmecke den würzigen Duft seiner grünen Blätter auf deinen Lippen, es sein heilender Atem. - Fühle unter seiner rauen Rinde sein starkes pulsierendes Leben,
das er auf dich überträgt. - Nun bist du eins mit ihm. Und jetzt spürst du die Kraft und die Ruhe, die dieser Riese durch deinen Körper fließen lässt. Lass dir Zeit und schöpfe dir die Kraft von ihm
die du zum kämpfen brauchst, er gibt sie dir gerne.
Nach ein paar Minuten ließ Christina ihre Arme sinken. Hektische rote Flecken zeichneten sich auf ihrem Gesicht und am Hals ab. Ich spürte, dass mich eine herrliche Ruhe durchfließt, mein Körper ist
so angenehm warm, flüsterte sie regelrecht andächtig. Wieder lauschte sie in ihren Körper hinein und ein kleines Lächeln lag auf ihren Lippen. Mir geht es richtig gut meinte sie. Sag mal woher weißt
du das alles fragte sie?
Da muss ich etwas ausholen erwiderte Mia. Schon als kleines Mädchen nahm mich meine Großtante des Öfteren mit in den Wald. Sie erklärte mir die Kräuter, die sie pflückte und auch die Kraft der
Bäume. Sie ließ mich das Ritual immer wieder wiederholen bis ich es richtig beherrschte. Und sie erinnerte mich auch oft daran, wenn es mir nicht gut geht, die Ruhe und Kraft meines Baumes in
Anspruch zu nehmen. Er ist für dich da, in jeder Situation, vergiss es nicht, denn dein Baum ist dein Freund! Und wie du siehst, habe ich es nie mehr vergessen!
An diesem Tag kehrte eine glückliche Christina in ihr Zimmer zurück und sie nannte den Baum, - meine Hoffnung!
Von nun an fuhr sie jeden Tag zum Baum. An den Tagen an denen Mia nicht kam, musste Markus sie begleiten. Sie blühte richtig auf zu einem freundlichen lebhaften Mädchen, voller Hoffnung das nun auch
wieder ohne Rollstuhl zu Recht kam. Nichts erinnerte mehr an das blasse Mädchen mit den großen traurigen Augen.
Als Mia an diesem Tag ins Zimmer kam, saß ein junger Mann bei Christina. Sie hörten Musik. Christina kam zu ihr umarmte sie, nahm ihre Hand und führte sie zu ihm hin. Das ist Nils stellt sie ihn vor,
er ist seit gestern mein Nachbar von nebenan. Und das ist Mia sagte sie zu Nils, sie ist mein liebster Mensch auf dieser Welt. Wir gehen gleich in den Park, möchtest du uns begleiten fragte sie Nils.
Gerne antwortete der, ich muss mir noch eine Jacke holen. Nachdem Nils das Zimmer verlassen hatte, sagte Christina. Wir haben schon Freundschaft geschlossen, er ist neunzehn Jahre, was glaubst du wir
passen doch gut zusammen und dabei röteten sich ihre Wangen leicht. Mia antwortete lächelnd, wie ich sehe gefällt er dir. Natürlich kann er mit uns kommen, alles was wir zu zweit unternehmen, können
wir auch zu dritt machen. Mit strahlenden Augen legte Christina ihre Arme um Mia Hals und gab ihr einen Kuss, ein leises gehauchtes Danke schwebte durch den Raum.
Im Park schaute Nils fasziniert Christina bei ihrem Ritual zu. Er befragte Mia dazu und sie erklärte es ihm. Kann ich das auch lautete seine nächste Frage? Natürlich antwortete sie. Er stand auf und
will zu Christina. Halt, komm doch bitte wieder her rief ihn Mia zurück. Wir müssen erst deinen Baum suchen erklärte sie ihm. Das ist der von Christina. Nachdem Christina wieder zu ihnen gekommen
war, erzählte ihr Nils was sie vorhatten. Das finde ich gut antwortet sie und dabei gingen sie tiefer in den Park. Aufmerksam schaute sich Nils die Bäume an, mit einem Mal geht er zielstrebig auf
eine Buche zu und fasste sie an. Aha sagt Mia das ist dein Baum. Dann erklärte sie ihm, genau wie bei Christina, was er zu tun hatte. Auch er nahm die Sache sehr ernst. Genau wie Christina spürte er
die Ruhe die dieser Baum ihm schenkte. Du musst deinem Baum noch einen Namen geben ereiferte sich Christina, meiner heißt, meine Hoffnung! Ich überlege mir einen antwortete Nils.
Sie fingen an die Spaziergänge auszudehnen, aber immer haben sie aus Vorsicht einen Rollstuhl dabei, mal mit Mia, mal mit Markus. Ich würde gerne einmal einen Bummel durch die Stadt machen, sagte
Christina. So einen richtigen Schaufensterbummel, ein Eis essen, den Menschen zu schauen, das wäre herrlich seufzte sie. Mal sehen antwortete Mia, versprechen kann ich nichts.
Wieder wendete Mia sich an Markus und wieder ebnete er die Wege, nur diesmal musste er mit. Sie verabreden sich für den Samstag direkt nach dem Essen. Als Mia an diesem Samstag zu Christina kam war
diese erstaunt sie so früh zu sehen. Ich habe eine Überraschung für Dich wendet sich Mia an sie. Zieh dich an, wir fahren in die Stadt. Du wolltest doch einen Bummel machen. Sprachlos und mit Tränen
in den Augen sitzt Christina auf dem Bett, dann stößt sie einen jubelnden Schrei aus, springt auf und umarmt Mia. Mit fliegenden Händen zieht sie sich an. Als sie das Zimmer verlassen steht Nils mit
Markus schon wartend auf dem Flur. Ihr kommt mit uns fragte sie mit vor Freude bebender Stimme. Beide nickten ihr bejahend zu. Mit einem schiefen Blick auf die Rollstühle fragte Christina: Müssen die
wirklich mit? Ja erwiderte Markus, nur mit ihnen geht es in die Stadt. Widerstrebend fügte sich Christina. Nils lachte laut, das ist doch prima wandte er sich an Christina, wir sitzen gemütlich und
lassen uns schieben, während die Zwei sich die Hacken wund laufen!
Nachdem alle und alles im Auto verstaut war, fuhren sie in die Stadt. Dort suchten sie sich einen Parkplatz, luden wieder alles aus und begaben sich in die Fußgängerzone. Hier reihen sich
Straßencafes und Geschäfte aneinander. Langsam schlendernd fuhren sie auf der einen Seite hinunter, blieben vor den Auslagen stehen und schauten sich alles an. Da entdeckte Christina eine schicke
Hose und auch einen Top. Sie gingen in das Geschäft und Christina probierte sie an, begeistert drehte sie sich vor dem Spiegel und Mia kaufte sie. Die passenden Schuhe dazu fanden sie etwas
unterhalb in einem Schuhladen. Nils suchte nach einer schicken Jogginghose und in einer kleinen Boutique fand er sie. Als Mia sie bezahlen wollte, lehnte er es höflich aber bestimmt ab. Leise sagte
er zu ihr: Ich finde es sehr großzügig von dir, dass du die Wünsche Christinas erfüllst, sie hat nur dich. Aber ich habe meine Eltern die für mich sorgen.
Danach setzten sie sich in ein Straßencafe und aßen ein Eis. Der Mund von Christina stand nicht still, ihre Augen strahlten und ihre Wangen glühten, sie war glücklich. Nach etwa einer Stunde setzten
sie ihren Weg fort. Am frühen Abend aßen sie noch eine Bratwurst und fuhren im Anschluss zur Klinik zurück. Alle vier waren sie müde. Nils bedankte sich für den schönen Bummel und zog sich in sein
Zimmer zurück. Christina legte sich auf ihr Bett und streckte ihre Hände nach Mia aus. Die nahm sie in ihre Arme und drückte sie zärtlich. Es war so schön sagte Christina, müde aber glücklich, danke
Mia, gab ihr noch einen Kuss und ist gleich darauf eingeschlafen. Mia blieb noch sitzen und schaute sie an. Sie sah so glücklich aus, selbst im Schlaf lächelte sie. Das Herz tat ihr weh bei dem
Gedanken dass dieses Mädchen todkrank ist. Zärtlich streichelte sie ihr über die Wange und verlässt das Zimmer.
So geht der Sommer vorbei und der Herbst mit seinen Stürmen hat sich angesagt. Der goldene Oktober, tat seinem Namen alle Ehre. Ein wunderschöner Altweibersommer zog sich bis Mitte November hin. Doch
dann kam der Regen und mit ihm die Kälte. Jetzt sagte Mia zu Christina, ist die Zeit in der die Natur in den Winterschlaf fällt. Auch dein Baum hat sein kraftvolles, vitales Leben minimiert. Nun kann
er dir keine Kraft mehr geben, erst im Frühjahr wieder. Aber sagte Christina ganz entsetzt, ich brauche doch seine Kraft, was mache ich denn jetzt? Wo bekomme ich die Ruhe und die Kraft her, wenn
nicht von meinem Baum? Tränen laufen über ihr Gesicht. Mia antwortete ihr sehr ernsthaft: Von mir, bekommst du deine Kraft. Wie von dir fragte Christina sie? Durch meine Hände, antwortete Mia, ich
werde es dir erklären! Es gibt einige wenige Menschen, die anderen Menschen Kraft übertragen können. Diese Menschen nennt man Heiler. Mit ihrer sehr starken Energie, lassen sie die Kraft des eigenen
Körpers in den des Anderen fließen. Damit stärken sie das Immunsystem des Kranken. Gleichzeitig nehmen sie ihm die Schmerzen ab, so dass sich sein Organismus mit der Kraft des Heilers gegen die
Krankheit wehren kann. Oftmals reicht nur die bloße Nähe eines Heilers und der Körper des Kranken saugt die Kraft auf die er braucht. Woran erkennt man denn einen echten Heiler fragte Christina? Du
spürst seine starke Ausstrahlung körperlich antwortet Mia, auch seine Liebe zu den Menschen. Du fühlst dich in seiner Nähe wohl, es geht dir gut und du hast keine Schmerzen. Vor allem, ein echter
Heiler hat seine Gabe umsonst bekommen und er gibt sie umsonst weiter. Und eines muss man immer bedenken - sie können alle keine Wunder vollbringen! Man erwartet von ihnen zuviel auf einmal und auch
die vielen Scharlatane machen ihnen das Leben schwer. - Skeptisch schaute Christina sie an. Lege dich einfach mal hin forderte Mia sie auf, was sie tat. Dann nahm sie die Hände Christinas in die
ihren. So saß sie zehn Minuten ohne ein Wort zu sprechen. Christina fielen die Augen zu und sie schlief ein. Nach einer viertel Stunde erwachte sie wieder und schaute Mia verwirrt an. Was wahr das
fragte sie? Mein ganzer Körper wurde warm, ja fast heiß und kribbelig, wie Strom breitete es sich überall hin aus, ein angenehmes Gefühl, ich spüre es immer noch, dabei schaute sie Mia fragend an.
Das war meine Kraft die durch deinen Körper floss erwiderte ihr Mia und ich möchte dich bitten nicht darüber zu sprechen. Christina war mit einem mal sehr still und nachdenklich.
Einige Zeit später unterbrach Mia das Schweigen. Über was denkst du so intensiv nach fragte sie Christina. Die schaute Mia an, jetzt weiß ich auch warum es mir so gut geht seitdem du hier bist
antwortet sie. Wer bist du wirklich, muss ich Angst vor dir haben? Mia schüttelte lächelnd den Kopf. Nein, das brauchst du nicht erwiderte sie, du weißt wer ich bin. Komm begleite mich, ich möchte
dir etwas zeigen. Ziehe dich warm an, wir müssen nach draußen. Mia nahm sie mit in die kleine Kapelle.
Hier her komme ich oft, das ist für mich eine Oase der Ruhe sagte sie zu Christina. Diese Ruhe die dieser Ort ausstrahlt gibt mir Kraft. Spürst du die zarten Schwingungen des Friedens, die dich
einhüllen und dir bis ins Herz dringen. Es ist ein Frieden der Schwerelose. Markus würde ihn als himmlische Liebe bezeichnen!
Hier habe ich auch Markus kennen gelernt. Er ist ein besonderer Mensch, ich habe große Achtung vor ihm und seiner Arbeit.
Christina legte ihren Kopf an Mias Schulter, so saßen sie in trauter Zweisamkeit eine ganze Weile still beisammen. Dann hob Christina ihren Kopf, ich lerne so viel von dir sagte sie leise. Deine
liebevolle Art macht mich glücklich. Warum haben wir uns nicht schon früher kennen gelernt. Erst jetzt wo ich nicht mehr viel Zeit habe, wurdest du mir von einem Engel geschickt. - Aber
wahrscheinlich gerade deshalb! Diese Worte trafen Mia mitten ins Herz. Du brauchst nichts zu sagen sprach Christina weiter, ich weiß Bescheid. Mia schaute sie an, Christinas große blaue Augen waren
vor Trauer und Angst ganz dunkel. Sie nahm sie in ihre Arme und sie weinten beide.
In der nächsten Zeit wurde Christina stiller. Sie lachte nicht mehr so viel und auch ihre Lebendigkeit ließ nach. Selbst Nils konnte sie nur noch zeitweilig aufheitern. Um eine schwere Depression zu
verhindern, trafen sich Mia, Nils, Markus und der Stationsarzt in der Cafeteria zum überlegen und beratschlagen was zu tun ist, ihr aus diesem Tief heraus zu helfen. Morgen gehe ich übers Wochenende
nach Hause meinte Nils und ich fürchte mich am Sonntagabend zurück zu kommen. - Ja ruft Mia, das ist es, ich nehme sie übers Wochenende mit zu mir. Eifrig wandte sie sich an den Arzt, was sagen sie
dazu und ist es machbar? Der Arzt nickte, finde ich gut meinte er, probieren sie es. Sie bekommt ihre Medikamente mit, nach dem Frühstück, können sie, sie abholen. Der Arzt verabschiedete sich und
auch Nils ging wieder nach oben. Markus schaute Mia an und fragte sie: Wie geht es dir, wir haben uns ja schon ein paar Tage nicht gesprochen. Mutest du dir nicht zu viel zu? Nein erwiderte sie, ich
liebe dieses Mädchen wie meine Schwester und ich möchte es ihr noch so schön wie möglich machen! Hoffentlich schaffe ich das. Wenn ich sie anschaue weint mein Herz! Ich weiß nicht ob es richtig ist
was ich tue, denn du weißt dass dieser Mensch dem Tode geweiht ist und doch animierst du ihn zu kämpfen, - einen aussichtslosen Kampf! Hoffnung zu wecken wo es keine gibt? Diese Gedanken quälen mich!
Leise erwiderte Markus: Höre auf dein Herz, es empfindet Nächstenliebe und Mitleid. Mit jedem weiteren Tag den du mit ihnen verbringst wächst diese Liebe, sie macht dich stark und sie, macht es
glücklich, es ist jemand da, sie sind nicht allein. Wer tröstet sie wenn du auf gibst? Jeder kommt an diesen Punkt, wo er denkt es geht nicht mehr weiter, ich kann nicht mehr. Und solange du diese
Menschen begleitest werden dich auch diese Zweifel plagen. Doch wenn du ihre Zimmer betrittst und ihre Augen aufleuchten siehst, in solchen Momenten weißt du, dass du nicht aufgeben wirst und dass es
richtig ist was du tust! Du hast ja recht antwortet sie, ich werde für sie da sein solange sie mich braucht! Nach diesem Gespräch verabschiedeten sie sich.
Am nächsten Morgen um 9°° Uhr fand sich Mia bei Christina ein. Die hatte schon gepackt und wartete bereits. Sie brauchten für die etwa dreißig Kilometer bis zu Mias Zuhause eine gute halbe Stunde.
Als sie ausstiegen schaute sich Christina um. Hier wohnst du also stellte sie fest. Ein schöner Garten ist das, hast du ihn selbst angelegt? Ja antwortet ihr Mia, er ist meine kleine Oase. Das
schlichte Ambiente hier auf dieser Seite mit den blühenden Rosensträucher, den Mandelbäumchen, den Schmetterlingssträucher und den Topfpflanzen ergibt ein wunderbares italienisches Flair. Dort drüben
sie zeigte auf die gegenüber liegende Seite befindet sich der Fischweiher in einem asiatischem Stil mit seinen verwundenen Wasserläufen und Kieswegen, den Buddha Figuren, und Obelisken, das Ganze ist
umgeben von strengen grünen Zierbäume und Sträucher. Etwas weiter rechts erstreckt sich der Obstgarten. Vom Frühjahr bis zum Herbst grünt und blüht hier alles. Doch lass uns hinein gehen es ist
unangenehm kalt hier draußen.
Nachdem sie das Haus betreten hatten kommt ein kleines schwarzes, bellendes Etwas auf sie zugeschossen. He sagte Mia komm her meine Süße, ich habe uns lieben Besuch mit gebracht. Das ist Alfi sagte
sie zu Christina, sie ist ein Zwergschnauzer. Sie zeigte Christina die Wohnung. Hier unten das sind alles Wohnräume und oben das Schlafzimmer, die Gästezimmer, das Bad und mein Büro. Christina
schaute sich um, was sie sah gefiel ihr gut. Das große Wohnzimmer mit seiner separaten Fernsehecke und vor allem der Wintergarten hatten es ihr angetan. Hier hatte Alfi auch seinen eigenen kleinen
Eingang, eine Hundeklappe, durch die er hinaus und wieder herein kann. Schnell freundete sie sich mit dem kleinen Hund an. Mia hörte sie wieder laut lachen und das alte Strahlen kehrte in ihre Augen
zurück. Es waren zwei wundervolle Tage, die sie mit einander verbrachten. Und als sie sonntags abends in die Klinik zurück kamen, hatte Christina ihre fröhliche Art wieder gefunden.
So vergingen die Tage und Weihnachten stand vor der Tür. Einen Tag vor hl. Abend holte Mia sie zu sich. Da der hl. Abend auf einen Donnerstag fiel, hatten sie ein langes Wochenende vor sich.
Christina freute sich königlich. Sie schmückten den Baum, aßen Gebäck und schauten sich Weihnachtsmärchen im Fernsehen an.
Dieses Relaxen gefiel ihnen. So beschaulich verbrachten sie auch die Weihnachtstage. Mia schenkte Christina ein wunderschönes Medaillon, mit einem Bild von ihr, Christina, auf der einen Seite
und Nils auf der anderen Seite.
Auch Silvester verbrachte sie mit Mia. Doch diesmal bekamen sie Besuch. Um 20°° Uhr klingelte es und Nils kam mit seinen Eltern zu ihnen. So feierten sie zusammen in das,, Neue Jahr” hinein.
Um ein Uhr wurde Christina müde, auch an Nils ging diese Anstrengung nicht spurlos vorbei. Sie verabschiedeten sich und begaben sich zu Bett. Christina schlief in dieser Nacht bei Mia, da beide
Gästezimmer den Besuchern zur Verfügung standen.
Nachdem die Zwei nach oben gegangen waren, fiel die Heiterkeit von den übrigen ab. Nils Mutter fing zu weinen an und ihr Ehemann nahm sie tröstend in seine Arme. Ist dies wirklich das letzte
Neujahrsfest das wir mit unserem Sohn feiern fragt sie völlig verzweifelt und bitter. Warum lässt Gott das zu, er ist doch unser einziges Kind. Wieso finden wir keinen Spender? Er hat eine sehr
seltene Blutgruppe spricht sie weiter und benennt sie. Aber unterbricht Mia sie, die habe ich doch auch! Wortlos schauten sich die drei Menschen an und langsam begann ein Hoffnungsfunke in den Augen
der Eltern zu glimmen. Ich werde mich nächste Woche typisieren lassen unterbrach Mia die Stille. Und ich flüsterte Nils Mutter, werde beten.
Am nächsten Tag fuhren die Gäste wieder weg. Christina und Mia genossen die Tage bis zum Sonntagabend.
In der Woche darauf ließ sich Mia Blut abnehmen und alle warteten sie gespannt auf das Ergebnis. Zwei Tage später kam der Hammerschlag - ungeeignet, verschiedene Faktoren passten nicht.
Christina weinte und Nils Eltern brachen fast zusammen, der einzige der gefasst war, das war Nils. Er sprach tröstend auf die anderen ein. Als Mia an diesem Abend nach Hause kam, rief sie sofort ihre
Cousine Ute an. Sie schilderte ihr den Fall und bat sie, da sie auch dieselbe Blutgruppe hat um Hilfe. Ute selbst auch Organspenderin sagte sofort zu. Und ihre Werte stimmten alle überein. Vierzehn
Tage später wurde ihr das Rückenmark entnommen und Nils übertragen. So konnte Nils gerettet werden. Eine tiefe Freundschaft entstand zwischen den sechs Menschen.
Nun bangten alle um Christina. Ihr Zustand hatte sich drastisch verschlechtert. Die Mentastasen breiteten sich immer schneller aus.
Seit einer Woche konnte sie das Bett nicht mehr verlassen. Mia kam nun jeden Tag zu ihr, hielt ihre Hand, nahm sie in ihre Arme und sprach tröstend auf sie ein. Allein ihre Anwesenheit ließ die
Kranke schon ruhiger werden. Die Medikamente wurden erhöht und versetzten sie in einen tiefen komaähnlichen Schlaf. In den kurzen wachen Phasen sprachen sie über das Leben, den Tod und dem danach.
Christina fürchtete sich sehr und Mia versuchte ihr liebevoll die Angst zu nehmen. Zwei Monate sind so vergangen. Christina war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Wenn man sie ansah blutete einem
das Herz. Voller Verzweifelung fing Mia zu hadern an. Da liegt ein blutjunges Mädchen und kämpft mit dem Tod. Wo bist du Gott? Ist das Gerecht? Das kann nicht dein Wille sein, ein so junges Leben zu
nehmen. Doch eine Antwort bekam sie nicht!
Als Mia an diesem Abend nach Hause fuhr, liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Sie hatte kein gutes Gefühl. Und sie hatte Angst - Angst vor dem Endgültigen. Dieses ohnmächtige hilfslose Zuschauen,
nichts tun zu können und doch stark sein zu müssen setzte ihr sehr zu. Gegen zwei Uhr in der Nacht klingelte das Telefon. Sie wusste sofort, dass die Klinik am anderen Ende war. Es wurde ihr
mitgeteilt, dass es mit Christina zu Ende ging. Ich komme sofort sagte sie. Mit fliegenden Händen zog sie sich an, sprang in ihr Auto und raste zum Krankenhaus. Dort angekommen rannte sie zu
Christina. Als sie das Zimmer betrat schlug ihr das Herz bis zum Hals. Mit fahrigen Händen fuhr Christina suchend über die Bettdecke. Ich bin da sagte Mia leise, griff nach den Händen Christinas und
hielt sie kurz fest. Dann setzte sie sich zu ihr nahm ihren Körper in ihre Arme und wiegte sie liebevoll wie ein Kind. Du bist nicht allein, ich bin da flüsterte sie dabei. Ein leichtes Lächeln
huschte über das Gesicht Christinas. Sie hatte auf Mia gewartet, nun war sie da und sie konnte endlich schlafen. Mia summte ihr Lieblingslied während sie, sie immer noch wiegte, dabei liefen ihr die
Tränen übers Gesicht. Ein dunkler Schatten schwebte über ihnen. Noch einmal atmete Christina aus und mit einem Lächeln im Gesicht glitt sie hinüber in die Welt der Engel.
Und heute, zwanzig Jahre später sitzt Mia immer noch an den Betten der Sterbenden. Nimmt sie in ihre Arme, schenkt ihnen Trost und Liebe, lacht und weint mit ihnen. Denn Niemand sollte einsam und
allein sterben. Und auch heute noch muss sie immer wieder weinen, wenn ein Mensch diese Welt verlässt. - Dann geht sie in die Kapelle zündet eine Kerze an und spricht das aus was sie tief in ihrem
Herzen fühlt. - Es war mir eine Ehre, dass ich dich ein Stück auf deinem Weg begleiten durfte! Danke!
Es sind oftmals die verschlungenen Wege des Schicksals, die uns führen, die uns das Letzte abverlangen und doch zufrieden stellen.
Alles liebe Rosie!